Ein Unternehmen, das einen möglichst langlebigen Kunden anstrebt, muss auf Kundenbindung setzten. Ein entscheidender Faktor hierfür lautet Vertrauen. Doch wie kann dieses von Seiten des Unternehmens erarbeitet werden? Marcus Stephan, Vorstandsmitglied der InterRisk Versicherungs-AG Vienna Insurance Group, erklärt den Prozess.
Wo liegt der Unterschied zwischen einfachen und transparenten Prozessen? Gibt es diesen überhaupt? Oder geht das eine nicht ohne das andere?
Marcus Stephan: Ein essentieller Baustein für nachhaltigen Erfolg sind leistungsstarke Prozesse, die für alle Beteiligten – unsere Kunden, unsere Partner und Mitarbeiter – transparent und einfach verständlich sind. Nur dann werden sie auch gelebt und bilden das Fundament allen Erfolgs. Einfache und transparente Prozesse sind zwar eng miteinander verbunden, unterscheiden sich jedoch in ihrem Fokus und ihren Zielen.
Einfache Prozesse beziehen sich in der Regel auf die Effizienz und Klarheit des Ablaufs. Ein einfacher Prozess ist leicht verständlich, hat klare Schritte und ist so gestaltet, dass er ohne Komplikationen abgeschlossen werden kann. Ziel eines einfachen Prozesses ist es, Fehler und unnötige Schritte zu minimieren und die Produktivität zu maximieren.
Transparente Prozesse hingegen beziehen sich eher auf die Offenheit und Nachvollziehbarkeit des Ablaufs. Ein transparenter Prozess ist so gestaltet, dass jeder Schritt und jede Entscheidung nachvollziehbar und verständlich sind. Ziel eines transparenten Prozesses ist es, Vertrauen zu schaffen und eine offene Kommunikation zu fördern.
Obwohl es also Unterschiede gibt, sind einfache und transparente Prozesse oft eng miteinander verbunden. Ein einfacher Prozess kann leicht transparent gestaltet werden, indem klare Regeln und Verantwortlichkeiten festgelegt werden und die Beteiligten jederzeit Zugang zu Informationen und Entscheidungen haben. Umgekehrt kann ein transparenter Prozess oft einfacher gestaltet werden, indem klare Regeln und Verantwortlichkeiten festgelegt werden und der Fokus auf einer klaren und einheitlichen Umsetzung liegt. Insgesamt können einfache und transparente Prozesse dazu beitragen, die Effizienz, Qualität, Transparenz und Reputation von Organisationen zu verbessern.
Unser Team Projekt- und Prozessmanagement gestaltet unsere zukünftige Prozess- und Systemlandkarte mit klarem Kundenfokus in Zusammenarbeit mit den fachlichen Teams. Dadurch schaffen wir mehr Freiräume für Innovation, persönliche Mehrwertservices und Kundeninteraktionen und damit noch interessantere und wertschätzendere Tätigkeiten für unsere Beschäftigten.
Welche Methoden habt Ihr, um zu erkennen, welche Prozesse zu komplex sind? Wer oder was ist das Richtmaß?
Marcus Stephan: Es gibt mehrere Methoden, um komplexe Prozesse zu identifizieren und zu bewerten. Wir nutzen die Prozessanalyse, um den Ablauf der Prozesse in Schritten zu dokumentieren. Dies hilft uns, unnötige oder redundante Schritte zu identifizieren und Bereiche zu identifizieren, in denen der Prozess vereinfacht werden kann.
Ein weiterer Ansatz besteht darin, unsere Stakeholder, sprich unsere Mitarbeiter, unsere Kunden und Partner zu befragen, die den Prozess ausführen. Wir sammeln ihre Meinungen darüber, welche Teile des Prozesses am meisten Zeit und Mühe erfordern und wo sie möglicherweise Schwierigkeiten haben. Diesen Ansatz wollen wir zukünftig sukzessive weiter ausbauen, um die Qualität, Effizienz und Wertschöpfung weiter zu erhöhen.
In Bezug auf das Richtmaß für Komplexität gibt es keine spezifische Regel oder Kennzahl, die für alle Prozesse gilt. Die Komplexität eines Prozesses hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie beispielsweise der Anzahl der Schritte, der Anzahl der beteiligten Parteien und der Komplexität der zugrunde liegenden Technologie. Unser bewährter Ansatz besteht darin, sich an bewährten Standards und der Erwartungen der Stakeholder zu orientieren, um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie komplex ein Prozess sein sollte, um effektiv zu sein.
Im Rahmen unserer Werte und kundenzentrierten Strategie stellen wir unsere Kunden in den Mittelpunkt und verbessern wir unsere Prozesse gezielt im Rahmen unseres übergreifenden Customer Journey Managements (CJM) kontinuierlich weiter. CJM bezieht sich bei uns auf die Gestaltung und Optimierung des gesamten Kundenlebenszyklus, um eine positive Kundenerfahrung zu gewährleisten. Im Kontext von Prozessen hilft uns CJM, die Kundenreise durch die verschiedenen Schritte und Touchpoints des Prozesses zu verstehen und zu verbessern.
Unsere effektive CJM-Strategie für Prozesse umfasst folgende Schritte:
- Identifikation der wichtigsten Kunden-Touchpoints im Prozess: Welche Schritte sind für den Kunden besonders wichtig und wo kann eine Verbesserung zu einer positiven Kundenerfahrung führen?
- Analyse der Kundenbedürfnisse: Welche Erwartungen hat der Kunde an den Prozess? Was sind seine Schmerzpunkte und Bedenken?
- Entwicklung von Maßnahmen zur Optimierung der Kundenreise: Auf der Grundlage der Analyse können Maßnahmen zur Verbesserung der Kundenreise identifiziert und umgesetzt werden. Dies können beispielsweise Anpassungen an der Prozessarchitektur, Änderungen an der Kommunikation oder Personalschulungen sein.
- Messung und Analyse der Ergebnisse: Es ist wichtig, den Erfolg der implementierten Maßnahmen im Rahmen eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP) zu messen und zu analysieren, um zu verstehen, wie sie sich auf die Kundenerfahrung und -zufriedenheit ausgewirkt haben und welche weiteren Anpassungen erforderlich sind.
Durch die Anwendung von CJM auf Prozesse wollen wir zukünftig sicherstellen, dass wir eine positive Kundenerfahrung bieten, Kundenbeziehungen stärken sowie Markenerlebnisse und Kundenloyalität erhöhen.
Wie definiert ihr die Linie zwischen „zu komplex“ und „einfacher geht es nicht“? Gibt es überhaupt ein „zu einfach“ aus Kundensicht?
Marcus Stephan: In Bezug auf die Komplexität eines Produkts oder einer Dienstleistung gibt es oft einen schmalen Grat zwischen dem, was als ausreichend komplex und dem, was als zu komplex empfunden wird. Eine zu komplexe Lösung kann dazu führen, dass die Kunden verwirrt, überfordert oder desinteressiert werden. Auf der anderen Seite kann eine zu einfache Lösung als oberflächlich oder unzureichend empfunden werden und den Eindruck erwecken, dass das Unternehmen die Probleme des Kunden nicht ernst nimmt.
Um die richtige Balance zu finden, nutzen wir modernste Methoden und Technologien für das exakte Erkennen und Verstehen unserer vorhandenen und potenziellen Kunden und derer Bedürfnisse. Dabei nutzen wir verschiedene Kommunikationskanäle und holen uns permanent Feedback von Kunden im Rahmen eines etablierten Kundenfeedback- und Beschwerdemanagements ein. Wenn Kunden häufig dieselben Fragen stellen oder Beschwerden vorbringen, kann dies ein Hinweis darauf sein, dass unser Produkt oder die Serviceprozesse zu komplex oder unverständlich sind.
Es gibt jedoch keine eindeutige Antwort darauf, ob es ein „zu einfach“ aus Kundensicht gibt. Einige Kunden bevorzugen möglicherweise eine einfache Lösung, die schnell und einfach zu verstehen ist, während andere Kunden möglicherweise eine tiefere Ebene an Details und Komplexität wünschen. Daher ist es wichtig, eine personalisierte Lösung im Rahmen eines Omnikanal Ansatzes anzubieten, die den Bedürfnissen und Erwartungen der jeweiligen Zielgruppe entspricht.
Titelbild: © Marcus Stephan