Die Finanzbranche erlebt eine tektonische Verschiebung. Was früher Domäne von Buchhaltern und Analysten war, wird zunehmend von Künstlicher Intelligenz (KI) gesteuert. Algorithmen übernehmen nicht nur Routineaufgaben, sondern entwickeln sich zu strategischen Entscheidern, die Liquiditätsflüsse optimieren, Finanzrisiken antizipieren und Unternehmensstrategien mitgestalten. CFOs sind nicht mehr nur Zahlenverwalter – sie werden zu KI-Architekten, die digitale Finanzsysteme entwerfen und steuern.
Die neue KPMG-Studie AI in Finance zeigt, wie weit der Wandel durch Künstliche Intelligenz im Finanzwesen bereits fortgeschritten ist. 71 Prozent der befragten Unternehmen setzen KI aktiv in ihren Finanzprozessen ein, mit einer starken Dynamik hin zu Generativer KI (GenAI), die nicht nur Prozesse optimiert, sondern Finanzstrategien automatisiert und transformiert (S. 8).
Die Studie basiert auf einer Befragung von 2.900 Unternehmen aus 23 Industrie- und Schwellenländern. Sie wurde erstmals im April 2024 durchgeführt und im September 2024 erweitert, um die rasant wachsende Bedeutung von KI im Finanzsektor zu erfassen (S. 4).
Generative KI auf dem Vormarsch
Finanzabteilungen waren lange von starren, historienbasierten Analysen geprägt. Jetzt dreht sich das Spielfeld: KI verarbeitet riesige Datenmengen in Sekunden und erstellt Szenarien, bevor Analysten den ersten Bericht formuliert haben. Die Folge: schnellere, präzisere und risikoärmere Entscheidungen.
Während Unternehmen KI bisher vor allem für Datenanalysen und Prozessautomatisierung nutzen, beginnt Generative KI, sich bei den führenden Unternehmen insbesondere in der Finanzberichterstattung zu etablieren. Bereits 40 Prozent der „AI Leaders“ setzen GenAI in diesem Bereich aktiv ein oder testen sie (S. 20). Unter allen Unternehmen ist der Anteil noch geringer.
Die Dynamik ist unübersehbar: 95 Prozent der AI Leaders planen, GenAI für Finanzberichte umfassend einzusetzen, während unter den restlichen Unternehmen 39 Prozent diesen Schritt in den kommenden drei Jahren gehen wollen (S. 20).
„KI-Finanzagenten mit fundiertem Fachwissen werden zusammenarbeiten, um einige unserer schwierigsten Probleme zu lösen und die Grenzen des Möglichen zu erweitern – und das schon bald!“, erklärt David Rowlands, Global Head of AI bei KPMG (S. 23).
Wo Algorithmen den größten Einfluss haben
Die Studie zeigt, dass KI in nahezu allen Bereichen der Finanzabteilungen Einzug hält. Besonders intensiv wird sie in der Buchhaltung und Finanzplanung genutzt, wo zwei Drittel der Unternehmen auf automatisierte Datenanalysen und Echtzeitprognosen setzen (S. 8). Auch im Treasury- und Risikomanagement kommt KI zunehmend zum Einsatz, beispielsweise zur Optimierung von Cashflow-Prognosen und zur Betrugserkennung.
Die wirtschaftlichen Vorteile sind erheblich. 57 Prozent der Unternehmen mit fortgeschrittener KI-Nutzung berichten, dass der Return on Investment (ROI) die Erwartungen übertrifft (S. 14). Selbst Unternehmen, die sich erst in der Einführungsphase befinden, erzielen oft höhere Renditen als ursprünglich angenommen.
Wenn Vertrauen zur neuen Währung wird
So viel Potenzial KI birgt, so groß sind auch die Herausforderungen. Datensicherheit, Transparenz und Fachkräftemangel sind die größten Hürden für Unternehmen. Laut der Studie betrachten 57 Prozent der Unternehmen Datenschutz und Cybersicherheit als größte Risiken (S. 16).
Noch kritischer wird das „Black Box“-Problem vieler KI-Modelle. Algorithmen treffen Entscheidungen, die oft nicht nachvollziehbar sind – ein Risiko für Compliance und regulatorische Anforderungen (S. 17). Ein Chief Audit Executive eines brasilianischen Industriekonzerns beschreibt dies als entscheidenden Schwachpunkt:
„Es gibt keine Quellen oder Links zur Validierung der KI-generierten Daten“ (S. 17).
Gleichzeitig fehlen qualifizierte Experten. Mehr als die Hälfte der Unternehmen beklagt, dass es schwierig sei, KI-Spezialisten zu finden (S. 16). Unternehmen müssen daher parallel zur KI-Integration massiv in Schulungen und Governance-Strukturen investieren.
Finanzberichterstattung 4.0
Ein Bereich, in dem KI besonders großen Einfluss hat, ist die Finanzberichterstattung. Heute nutzen 28 Prozent der Unternehmen KI für Berichte – in drei Jahren werden es 83 Prozent sein (S. 19). Die Vorteile liegen auf der Hand: weniger Fehler, höhere Geschwindigkeit, präzisere Analysen.
Doch der Wandel bringt neue Anforderungen mit sich. Wirtschaftsprüfer werden zunehmend damit beauftragt, Governance-Strukturen zu bewerten und die Zuverlässigkeit von KI-basierten Finanzberichten zu gewährleisten (S. 20). Unternehmen erwarten nicht nur, dass ihre Prüfer KI bewerten, sondern dass sie selbst KI in der Auditierung einsetzen.
„Unternehmen erwarten von ihren Prüfern, dass sie KI nicht nur verstehen, sondern auch selbst einsetzen“, sagt Thomas Mackenzie, Global Audit Chief Technology Officer bei KPMG (S. 20).
Der Moment zu handeln ist jetzt
Die KPMG-Studie zeigt unmissverständlich: KI ist keine Randerscheinung mehr – sie verändert die Finanzwelt grundlegend. Unternehmen, die jetzt handeln, sichern sich nicht nur Wettbewerbsvorteile, sondern stellen die Weichen für eine effizientere, strategischere und risikobewusstere Finanzführung.
Doch die Einführung von KI ist mehr als ein technisches Upgrade. Sie verlangt ein Umdenken in Führungsetagen, Investitionen in Fachkräfte und eine klare Governance-Strategie. Wer diesen Wandel aktiv gestaltet, wird zu den Gewinnern der algorithmischen Revolution gehören.
„Ohne Zweifel ist KI ein Gamechanger. CFOs und ihre Teams sollten jetzt handeln, um sich auf die Zukunft vorzubereiten“, betont David Rowlands (S. 3).
Die Frage ist nicht mehr, ob KI das Finanzwesen verändert – sondern wie schnell Unternehmen bereit sind, das Steuer zu übernehmen.
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