„Die Balance zwischen Vertrautheit und Innovation ist gleichermaßen wichtig, um eine gute UX zu gewährleisten“, sagt Meike Wenzl, Managerin im Bereich Lead Customer Centricity bei Accilium. Warum ist eben jener Balanceakt so herausfordernd? Und wie einsichtig sind Unternehmen, wenn ein Umdenken erforderlich ist? Wir haben bei der Expertin nachgefragt.
Wo liegen die größten Schwierigkeiten für Unternehmen, wenn es um das Thema User Experience geht?
Meike Wenzl: Die Digitalisierung führt in vielen Branchen dazu, dass ein Umfeld entsteht, in dem sich Kundinnen und Kunden zum einen personalisierte Produkte und Services wünschen, zum anderen aber auch, dass dieser Service oder das Produkt 24/7 nahtlos zur Verfügung steht. Zudem soll es einfach zu verstehen sein und die Leistungserfüllung am besten sofort geschehen – man denke an Amazon Prime.
Mit der gleichen Erwartungshaltung gehen Kundinnen und Kunden zunehmend auch auf alle anderen Lebensbereiche zu. Mit fortschreitender Technologieentwicklung wird es für Unternehmen aber immer schwieriger, die entsprechenden UX-Schnittstellen zu schaffen, um diese hohen Erwartungen zu erfüllen. Und: dabei gleichzeitig die unterschiedlichen Bedürfnisse verschiedener Nutzergruppen zu berücksichtigen. Zur selben Zeit müssen entsprechende Prozesse oder Strukturen vorhanden sein, die sicherstellen, dass eine konsistente UX über alle Kanäle hinweg effektiv gestaltet werden kann und funktioniert. Dabei spielt auch Barrierefreiheit und Inklusion eine wichtige Rolle – ein Thema, dass bis heute noch unzureichend berücksichtigt wird.
Sollte die User Experience dem Kunden ein vertrautes Gefühl vermitteln? Oder geht es darum, Innovation zu schaffen und Bedürfnisse zu befriedigen, die der Nutzer noch gar nicht kennt? Was trifft eher zu? Und warum?
Meike Wenzl: Die Balance zwischen Vertrautheit und Innovation ist gleichermaßen wichtig, um eine gute UX zu gewährleisten. Wenn Nutzer auf einer Website oder in einer App vertraute Designelemente, Interaktionsmuster und Navigationselemente finden, fühlen sie sich sofort wohl und können die Anwendung intuitiv nutzen. Das ist aber auch die Erwartung – Unternehmen sollen Kundenanforderungen verstehen und eine UX anbieten, die das Anliegen schnell und effektiv löst.
Gleichzeitig spielt Innovation dennoch eine wichtige Rolle. Unternehmen sollten daher auch innovative Lösungen und Funktionen anbieten, die die Kundenbedürfnisse übertreffen und ihnen einen Mehrwert bieten – sich dabei aber nahezu nahtlos in die bestehende UX einfügen. Durch beispielsweise gezielte Zielgruppenforschung (Bedürfnisse, Vorlieben oder Verhaltensweisen) können Unternehmen ihre UX so gestalten, dass sie sowohl Elemente enthält, die Vertrautheit vermitteln, als auch innovative und bedürfnisorientierte Funktionen bietet. Diese begeistern wiederum Kundinnen und Kunden und differenzieren sich vom Wettbewerb.
Wie bereitwillig werfen Unternehmen ihre „festgefahrenen“ Modelle über Bord, wenn es um eine Verbesserung der Customer Centricity geht? Inwiefern sollte der Ansatz überhaupt gänzlich neu gedacht werden? Und kann die bestehende Kundenbindung durch zu viel Novum verletzt werden?
Meike Wenzl: Die Bereitschaft von Unternehmen, ihre festgefahrenen Geschäftsmodelle und Prozesse zu verändern, variiert nach Unternehmen und Branche. Manche Branchen sind zum Teil durch technologischen Fortschritt und die zunehmende Digitalisierung sogar gezwungen ihre etablierten Modelle zu überdenken und anzupassen. Zum Beispiel der öffentliche Sektor durch das Onlinezugangsgesetz.
Durch den Customer-Centricity-Ansatz verschiebt sich der Fokus von einem produkt- zu einem kundenorientierten Ansatz, bei dem Bedürfnisse, Erwartungen und Erfahrungen der Kunden im Mittelpunkt stehen sollten. Dies kann bedeuten, dass traditionelle Geschäftsmodelle, Organisationsstrukturen und -prozesse gänzlich neu überdacht und ausgerichtet werden müssen.
Auch muss der Ansatz ganzheitlich betrachtet werden – und zwar entlang des ganzen Kundenlebenszyklus. Das erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Abteilungen und eine Integration der Ergebnisse und Kundenperspektive in alle Geschäftsbereiche.
Beim Übergang vom „alten“ zum „neuen“ Ansatz schließt sich wieder der Kreis zwischen dem Gleichgewicht von „Vertrautheit“ und „Innovation“. Dabei sollte es sich um einen schrittweisen Prozess handeln, bei dem das Unternehmen beispielsweise auch Kundenfeedback entlang des Veränderungsprozesses berücksichtigt. So kann sichergestellt werden, dass die Umstellung gelingt und die Kundinnen und Kunden sich weiterhin wohl fühlen.
Titelbild: © Meike Wenzl