Die Welt der Künstlichen Intelligenz erlebt gerade einen überraschenden Wendepunkt. Lange Zeit galt ChatGPT, entwickelt vom US-Unternehmen OpenAI, als Symbol westlicher Vorherrschaft auf dem Gebiet großer Sprachmodelle. Doch Anfang 2025 sorgte das chinesische Start-up DeepSeek mit seiner KI-Software „R1“ für eine regelrechte Sensation. DeepSeek entwickelte ein Sprachmodell, das laut eigenen Angaben genauso leistungsfähig ist wie die führenden US-Modelle, jedoch mit deutlich geringerem Aufwand an Energie, Rechenleistung und vor allem Kosten. Angeblich investierte DeepSeek nur etwa sechs Millionen Euro in das Modell, während das Training und die Entwicklung von ChatGPT mehr als das Zehnfache gekostet haben soll. Der Erfolg erschütterte nicht nur den Markt, sondern hatte auch direkte wirtschaftliche Folgen: Die Aktie des US-Chipriesen Nvidia verlor nach Bekanntwerden der Nachricht an nur einem Tag rund 17 Prozent ihres Wertes – ein Rekordverlust von etwa 590 Milliarden US-Dollar.
KI als Schlüsseltechnologie
KI ist längst zur geopolitischen Schlüsseltechnologie geworden, und der Wettlauf zwischen den USA und China hat durch DeepSeek neue Dynamik erhalten. Schon seit 2017 verfolgt China die erklärte Strategie, bis 2030 führende KI-Nation zu werden. Während die USA traditionell Vorreiter bei großen Sprachmodellen waren, holen chinesische Unternehmen rapide auf. Neben DeepSeek veröffentlichen Giganten wie Alibaba, Tencent und Bytedance zunehmend Modelle, die es mit westlichen Standards aufnehmen können. Diese Modelle werden oft als Open Source zur Verfügung gestellt, was ihre globale Attraktivität zusätzlich steigert.
Chinas Aufholjagd
Auch im Bereich der Bild- und Videomodelle wächst Chinas Stärke sichtbar. Das erste leistungsfähige KI-Videomodell, CogVideo, kam bereits 2022 aus China und war der Konkurrenz um Monate voraus. Chinesische Unternehmen profitieren hier von großen Mengen visueller Daten, die durch populäre Plattformen wie TikTok gesammelt werden. Das chinesische Modell „Wan 2.1“ von Alibaba gilt als besonders fortschrittlich und wurde weltweit frei zugänglich gemacht, wodurch der Druck auf westliche Konkurrenten weiter steigt.
Daten – das neue Öl
Daten gelten als „neues Öl“ für die KI-Entwicklung. Hier verfügen die USA dank ihrer großen Tech-Konzerne wie Amazon, Google und Microsoft sowie spezialisierter Start-ups wie Scale AI noch über signifikante Vorteile. Der Markt für KI-Trainingsdaten in den USA hat bereits ein Volumen von rund 580,5 Millionen US-Dollar. China holt zwar schnell auf, leidet jedoch an Einschränkungen bei Datenqualität und -zugänglichkeit aufgrund staatlicher Regulierung und Zensur.
Talentschmiede vs. Talentmagnet
Ein entscheidender Faktor im KI-Wettstreit ist die Ausbildung von KI-Talenten. Laut Gartner stammen 47 Prozent der globalen KI-Spitzenforscher aus China, während nur 18 Prozent aus den USA kommen. Viele chinesische Forscher verlassen jedoch das Land Richtung USA – ein großes Risiko für Chinas langfristige Ziele. Doch China steuert gegen: Die Zahl chinesischer Universitäten, die KI-Studiengänge anbieten, stieg 2024 auf 537. Laut Feiyu Xu, ehemalige KI-Chefin bei SAP, beginnt Chinas Talentförderung sehr früh: „In China lernen Kinder schon im Kindergarten KI.“ Das Bildungssystem fördere gezielt Talente entsprechend den Bedürfnissen des Landes, um international mithalten zu können.
Gemeinsam stärker
Trotz des intensiven Wettbewerbs arbeiten die USA und China auch stark zusammen. Zachary Arnold vom Emerging Technology Observatory hebt hervor, dass internationale Kooperationen entscheidend für den Fortschritt sind:
„KI ist ein hochgradig kollaboratives Feld. Überall auf der Welt gibt es vielfältige KI-Forscher und Ingenieure. Durch die internationale Zusammenarbeit beschleunigt sich die Entwicklung deutlich.“
Laut aktuellen Studien haben gemeinsame Forschungsprojekte zwischen den beiden Ländern eine besonders hohe Wirkung. Zwischen 2014 und 2024 waren die USA und China die häufigsten Partner bei internationalen KI-Kooperationen. Dabei erweisen sich solche Kollaborationen vor allem deshalb als wertvoll, weil sie ermöglichen, KI-Modelle in unterschiedlichen kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Kontexten zu testen und weiterzuentwickeln. Dadurch entstehen robustere und vielseitiger einsetzbare Lösungen. Trotz geopolitischer Spannungen und nationaler Interessen ist die Zusammenarbeit insbesondere in Bereichen wie Computer Vision oder bei der Entwicklung neuer KI-Algorithmen weit verbreitet und produktiv.

Wie schlägt sich Europa?
Europas Position erscheint zunächst zurückhaltender, doch hat der Kontinent durchaus Potenzial, eine eigene Strategie zu verfolgen. Laut André Retterath von Earlybird VC besitzt Europa Vorteile durch hochspezialisiertes Fachwissen und hochwertige Datensätze aus dem Mittelstand. Europas Stärke könnte darin liegen, branchenspezifisches Expertenwissen mit bestehenden KI-Modellen zu kombinieren. Digitalminister Volker Wissing fordert dazu bessere Bedingungen für Risikokapitalgeber und weniger regulatorische Hürden. Die umfassende KI-Verordnung der EU könnte hierbei sowohl Innovationsbremse als auch Qualitätsmerkmal sein.
Ausblick: Wer macht das Rennen?
Der aktuelle KI-Wettstreit zeigt, dass China massiv aufholt und die USA ernsthaft herausfordert. Das Beispiel DeepSeek verdeutlicht, dass die bisherige Dominanz westlicher Unternehmen nicht garantiert ist. Zwar behalten die USA in puncto transformative Innovationen und KI-Infrastruktur weiterhin die Nase vorn, doch Chinas Fortschritte bei industriellen Anwendungen, Datennutzung und Talentförderung setzen den Westen zunehmend unter Druck. Europas Chance könnte darin liegen, die eigenen Stärken gezielt einzusetzen, um sich als Zentrum für spezialisierte, hochwertige KI-Anwendungen und -Lösungen zu etablieren. Der Ausgang des Wettbewerbs bleibt offen, doch eines ist klar: KI ist längst nicht nur technologische Innovation, sondern der zentrale Schauplatz geopolitischer Machtkämpfe geworden.
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Quellen:
AlShebli, Bedoor; Memon, Shahan Ali; Evans, James A.; Rahwan, Talal (2024): „China and the U.S. produce more impactful AI research when collaborating together“, in: Scientific Reports, 14, Artikelnummer: 28576. Online verfügbar unter: https://www.nature.com/articles/s41598-024-79863-5 (Zugriff: 19.03.2025).
Amal, Khadija (2025): „US and China lead global AI collaboration as research partnerships grow“, in: Rest of World. Online verfügbar unter: https://restofworld.org/2025/us-china-lead-global-ai-collaboration/ (Zugriff: 19.03.2025).
Kreimeier, Nils (2025): „Kampf um KI: Wie Europa gegen USA und China bestehen kann“, in: Capital.de. Online verfügbar unter: https://www.capital.de/wirtschaft-politik/kampf-um-ki–wie-europa-gegen-usa-und-china-bestehen-kann-35530576.html (Zugriff: 19.03.2025).
Deutschlandfunk (2025): „Schlüsseltechnologie im Wettstreit zwischen China, USA und Europa“. Online verfügbar unter: https://www.deutschlandfunk.de/schluesseltechnologie-im-wettstreit-zwischen-china-usa-und-europa-100.html (Zugriff: 19.03.2025).